H.-D. Heimann u.a. (Hrsg.): Armutskonzepte der Franziskaner

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Titel
Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart


Herausgeber
Heinz-Dieter, Heimann; Hilsebein, Angelica; Schmies, Bernd; Stiegemann, Christoph
Erschienen
Paderborn 2012: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
632 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benedikt Tremp, Schweizerisches Literaturarchiv BAK

Das im Zusammenhang mit einer strengen imitatio Christi stehende, freiwillige Armsein des hl. Franziskus und der hl. Klara sowie sein Fortbestehen in franziskanischen, klarissischen und kapuzinischen Gemeinschaften zählen zu den grössten Faszinosa in der Geschichte abendländischen Ordenslebens. Ungeachtet dessen steckt die Erforschung der Erscheinungs- und Wirkungsgeschichte jener mendikantischen Existenzweisen in noch bescheidenen Anfängen. Der vorliegende Tagungsband, initiiert durch die Universität Potsdam und in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Franziskanische Forschung Münster sowie dem Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn, sucht diese Lücke mit einem grosszügig angelegten, epochenübergreifenden «Reihenversuch» zu füllen, in welchem das Spannungsverhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit der titelgebenden «gelobten Armut» als ein dynamisches Element in der Wirkungsgeschichte der franziskanischen Ordensfamilie identifiziert und untersucht wird. Unter Berücksichtigung von Innen- und Aussensicht(en) fragen die Beiträge nach der Bedeutung des Prinzips «einfachen Lebens» im Wandel der Zeit sowie danach, wie die jeweiligen Gemeinschaften in der Nachfolge Franziskus’ von der Tradition des selbst auferlegten Stigmas der Armut herausgefordert waren. Die vorliegende Rezension bemüht sich um einen Überblick über die wichtigsten thematischen Schwerpunkte, wobei es nicht möglich sein wird, auf alle Beiträge einzugehen.

I. Kern des von Franziskus propagierten und gelebten Grundprinzips «gelobter Armut» ist die radikale Umwertung der paupertas, die auf das Matthäus-Evangelium zurückgeht: Irdischer Verzicht auf gleichermassen materielle wie geistige Güter versteht sich hier neu als «Kapital im Bettelsack»; demzufolge ist dem, der auf Erden den Weg der Armut beschreitet, «nackt dem nackten Jesus folgend» (nach Walter Map), in der Erlösung unendlicher Reichtum gewiss. Die bahnbrechende Innovationskraft dieser christlichen, genauer franziskanischen Neuausrichtung in Fragen der Besitzlosigkeit, welche sich dadurch zu einem immer intensiver reflektierten Problem in der europäischen Kultur entwickelte, ist Gegenstand von Otto Gerhard Oexles Beitrag zur frühen Ideengeschichte der Armut (3–15). Peter Schallenberg (67–80) schreibt der frühen franziskanischen Armutsbewegung das Verdienst zu, mit ihrer neuartigen programmatischen Hinwendung zu den tieferen Gesellschaftsschichten den Beginn einer ersten vormodernen Sozialethik mitgefördert zu haben. Die mendikantischen Leitlinien der compassio und imitatio des armen Christus hätten einen diesseitigen Aktivismus zur Folge gehabt, welcher mit der Vorstellung vieler älterer monastischer Strömungen, das Ende der Zeit könne nur in Weltflucht abgewartet werden, radikal bricht. Von den verschiedenen poetischen Ausdrucksweisen der «gelobten Armut», vom ersten Regelentwurf Franziskus’ (Regula non bullata, 1221) über Schriften zeitgenössischer Franziskaner (u.a. Bonaventuras Legenda maior, 1263) bis hin zu ersten volkssprachlichen Übersetzungen (u.a. bei David von Augsburg), sowie von den produktiven Abwandlungen des ursprünglichen Armutskonzeptes, die diese Rezeption der ersten Stunde vermittelte, handeln die Beiträge Leonhard Lehmanns (37–65), Volker Honemanns (101–127) sowie Michael Rupps (129–151).

II. Die Unvereinbarkeit des franziskanischen Armutsideals mit den Herausforderungen der Wirklichkeit, welche erzwungenermassen Anpassungen zur Folge hatte, durchzieht die gesamte Ordensgeschichte wie ein roter Faden und wird dementsprechend in einer Vielzahl der Beiträge prominent diskutiert. Apostelgleiches Wander- und Bettlerleben sowie eine zunächst nur lockere Organisationsform rückten die Laiengemeinschaft in ihren Anfängen in die suspekte Nähe zu anderen, als häretisch geltenden Bewegungen wie den Waldensern. Im Gegenzug zu rechtlicher Approbation und Stabilisierung hatte sie sich demzufolge bereits früh der kirchenpolitischen Einflussnahme des Papstes zu beugen. Jürgen Miethke beschreibt in seinem Beitrag zum «theoretischen Armutstreit» (243–283), wie die Kurie die Franziskaner in die bestehende Kirchenhierarchie einzuebnen suchte: Der Verleih von Eigentum unter Vorbehalt eines usus facti (Gebrauchsrechts) sollte die Ordensmitglieder sesshaft und besser kontrollierbar machen, was jedoch nur zulasten des ursprünglichen Armutsideals geschehen konnte. Andreas Sohn (155–182) und Almut Breitenbach (183–215) thematisieren diese Problematik im Zusammenhang mit der Bildung von Franziskanern und Klarissen: Aus der rasanten europaweiten Verbreitung der minoritischen Gemeinschaften habe sich früh die Notwendigkeit ergeben, ein spezifisches Studiensystem einzurichten, um genügend Personal für Predigt, Seelsorge und Ordensleitung ausbilden zu können. Die allmähliche Akademisierung des Ordens ab Mitte des 13. Jahrhunderts war jedoch ein Verstoss gegen Franziskus’ Forderung nach grösstmöglicher innerer simplicitas. Verschiedene interessant zu lesende Beiträge handeln des Weiteren davon, wie Mönche und Nonnen zu allen Zeiten durch unlautere Anhäufung von Eigenbesitz und Geld- oder Immobilienhandel auffallen konnten und sogar wirkungsmächtig zur Entwicklung allgemeiner ökonomischer Theorien beigetragen haben sollen (dazu der ebenso pointierte wie spannende Beitrag von Annette Kehnel, 233–240). Bernd Schmies (285–305), der über den Alltag spätmittelalterlicher Gemeinschaften in Thüringen referiert, vermerkt dazu treffend, dass sich die entsprechenden Konvente, die ihrer Natur gemäss die Nähe zu städtischen Gemeinschaften suchten, nolens volens auf deren wirtschaftlichen Gesetze einlassen mussten, wollten sie in ihnen bestehen.

III. Die zunehmende Hinwendung zur Lebensform von monachi proprietarii forderte die Reaktion reformbestrebter Gruppierungen heraus, die für eine Rückkehr zu einer strengeren Observanz der ursprünglichen Ordensregel eintraten. Michael Hohlstein (393–409) beleuchtet hierzu anhand der Beispiele zweier spätmittelalterlicher Konvente (Ulm und Söflingen) die Argumentationsmuster von Befürwortern und Gegnern solcher Reformbemühungen. In die gleiche Richtung einer Erneuerung des franziskanischen Armutsideals zielte später die Gründung des Kapuzinerordens, der, wie Hillard von Thiessen (423–447) ausführt, wegen seiner intensiven Nähe zum einfachen Volk zu einer Wiedererstarkung des Katholizismus im Konfessionszeitalter beigetragen habe. Mit einer glaubwürdig gelebten, rigorosen Armut gewannen die Kapuziner zudem das Vertrauen vieler grosser Herrscherhäuser, darunter dasjenige der Habsburger, welche dem Wiener Konvent am Neuen Markt die Aufgaben der Schatzverwahrung, Grablegung und Memoria überantworteten. Die neuerliche Gefahr der Entfremdung vom Armutsideal, die diese kaiserlichen Begünstigungen mit sich brachten, und die starken Ressentiments, die den Kapuzinern dadurch erwuchsen, sind Gegenstände des Beitrags von Susanne Hehenberger (477–501).

Der Band aus dem Verlagshaus Ferdinand Schöningh beeindruckt dadurch, dass es ihm gelingt, eine ausserordentlich grosse, illustre Reihe an Beiträgen unterschiedlichster disziplinärer Provenienz zu versammeln, die trotzdem fast durchgehend und sehr effizient auf wenige konzis formulierte Fragestellungen eingestimmt scheinen und zudem einen Zeitrahmen ohne grössere Lücken abdecken. Das Anliegen der Herausgeber, die Erforschung eines vernachlässigten Themenbereichs anzuregen, könnte mit diesem grosszügigen Band durchaus von Erfolg gekrönt sein. Doch manchmal ist weniger auch mehr: «Gelobte Armut» ist nicht frei von repetitiven Momenten, die zwangsläufig dann auftreten, wenn mehrere Beiträge sich sehr ähnlichen Untersuchungsgegenständen widmen und dabei zu wenig aufeinander abgestimmt sind, was bei einer solchen Textmasse jedoch auch schwer realisierbar wäre.

Zitierweise:
Benedikt Tremp: Rezension zu: Heinz-Dieter Heimann/Angelica Hilsebein/Bernd Schmies/Christoph Stiegemann (Hg), Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 671-673.